Obduktion ganz ohne Skalpell – die Virtopsy (Teil 2)
7. Januar 2021 • Artikelserie Kriminaltechnik & Forensik

Rechtsmedizin meets Radiologie

Die bisher beschriebene „klassische“ Obduktion wird schon seit vielen Jahren durch bildgebende Verfahren wie der Computertomographie (CT) und der Kernspin-tomographie bzw. Magnetresonanztomographie (MRT) ergänzt. Die CT basiert auf Röntgenstrahlung und eignet sich besonders zur Untersuchung des Skelettsystems. Die MRT arbeitet mit starken Magnetfeldern und Radiowellen und kommt vor allem zur Darstellung von Weichteilen (z. B. Muskeln, Fettgewebe, Organe) zum Einsatz. Wird eine Leiche durch einen Computer-tomographen oder Kernspintomograph geschoben, erhält man innerhalb weniger Minuten dreidimensionale Bilder des gesamten inneren Körpers.
Feinste Strukturen von Gefäßen und Organen, Brüche, Verletzungen und Gasansammlungen im Körper können so vor der Obduktion sichtbar gemacht werden. Weitere Vorteile der forensischen Bildgebung sind die digitale Asservierung der Bilder und der Zugriff auf diese zu jeder Zeit. Ist ein Leichnam erstmal digitalisiert, bleibt er als Beweismittel dauerhaft vorhanden. Zudem kann durch die Digitalisierung eine schnelle Dokumentation des Zustands der Leiche vor der Obduktion gemacht werden. Für die Suche nach Fremdkörpern wie Projektilen (Kugeln aus Schusswaffen) oder anderen Fremdkörpern ist die postmortale CT ebenfalls gut geeignet und kann die Suche bei der späteren Obduktion beschleunigen.
Die MRT findet in der forensischen Medizin trotz ihrer idealen Technik zur Untersuchung des Körperinneren bisher wenig Gebrauch. MRT-Geräte sind in der Anschaffung, Wartung und Handhabung sehr kosten- und zeitintensiv, weswegen es sie in rechtsmedizinischen Instituten sehr selten gibt. Auch CT-Geräte hat noch lange nicht jedes Institut, manche nutzen radiologische Abteilungen von Kliniken, andere haben gar keine Möglichkeit auch nur konventionelle Röntgengeräte zu nutzen. Um die Einführung bildgebender Verfahren in die deutsche Rechtsmedizin zu ermöglichen und national zu fördern, hat sich 2014 die Arbeitsgemeinschaft Forensische Bildgebung im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) gegründet.
Anwendungsbeispiele | |
PMCT | Traumata v. a. Skelettverletzungen (Unfälle, Stürze, stumpfe Gewalt), Stich-, Schussverletzungen, Detektion von Fremdkörpern, Kindesmisshandlung, Identifikation, Altersbestimmung |
MRT | Stumpfe Gewalt, Stichverletzungen, Strangulation, Kindesmisshandlung, ärztliche Behandlungsfehler, Detektion von Fremdkörpern, Identifikation, Altersbestimmung |
Die Virtopsy
Bildgebende Verfahren wie CT und MRT sind aber noch nicht alles, was die sogenannte „Virtopsy“ leisten kann. „Virtopsy“ ist ein Forschungsprojekt aus der Schweiz, das Mitte der 1990er Jahre am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern startete. Der Begriff „Virtopsy“ setzt sich aus den Wörtern „virtuell“ und „Autopsie“ zusammen und umfasst alle bildgebenden Verfahren, die zur Klärung eines außergewöhnlichen Todesfalls eingesetzt werden können. Dabei ist „virtuell“ jedoch nicht als Gegenteil von „real“ zu verstehen, sondern abgeleitet von der lateinischen Wurzel „virtus“, was so viel bedeutet wie „tüchtig“ und „tauglich“. Neben CT und MRT werden auch das 3D-Oberflächen-Scanning, die postmortale Angiographie sowie die postmortale Biopsie angewandt.
Wenn es darum geht äußere Verletzungen (bspw. Bissverletzungen, Abdrücke von Tatwaffen/Reifen) darzustellen, kommt ein Oberflächen-Scanner zum Einsatz. Dieser kann nicht nur dreidimensionale Bilder vom Körper erstellen, sondern auch von den jeweiligen vermuteten Tatwaffen. Gibt es beispielsweise Bissspuren am Körper, können zum Vergleich Zahnabdruckmodelle der vermeintlichen Täter hergestellt werden. Aber auch zur Rekonstruktion von Verkehrsunfällen wird das 3D-Oberflächen-Scanning genutzt.
Die Angiographie (Gefäßdarstellung) wird bei lebenden Menschen üblicherweise durch Spritzen von Kontrastmittel in die Venen und anschließendem Bildgebungsverfahren durchgeführt. Da bei Leichen jedoch kein aktiver Blutfluss vorhanden ist, kann auch kein einfaches Kontrastmittel injiziert werden. Durch spezielle Techniken und Kontrastmittel wird dies jedoch erreicht und die Darstellung von beispielsweise Stich- und Schusskanälen ist möglich.
Durch bildgebende Verfahren lassen sich, wie bereits erwähnt, anatomische Strukturen und krankhafte Abweichungen sichtbar machen und so auch Gebiete für eine Biopsie (Gewebeentnahme) für weitere Untersuchungen lokalisieren. In der Rechtsmedizin sind vor allem flüssige Proben interessant. Flüssigkeitsansammlungen z. B. durch kleine Abszesse können bei einer Autopsie leicht übersehen werden. Auch Körperflüssigkeiten wie Urin, Gallenflüssigkeit und Mageninhalt können für eine toxikologische Untersuchung gezielt gewonnen werden.
Und all diese Technologien übernimmt ein Robotersystem – der sogenannte Virtobot, der am Rechtsmedizinischen Institut Bern eingesetzt wird. Das aus CT und Oberflächen-Scanner gewonnene 3D-Bild ermöglicht eine äußere und innere Betrachtung der Leiche am Bildschirm aus allen Blickwinkeln.
In diesem Video wird der Virtobot mit all seinen Funktionen gezeigt:
Tschüss Aufschneiden? – Die Zukunft der Rechtsmedizin
Grundsätzlich wurde die „Virtopsy“ nicht als eine Bedrohung für die Rechtsmedizin entwickelt, sondern zur Qualitätssteigerung. Bislang wird sie als hilfreiche Ergänzung genutzt, denn das bloße Auge und vor allem der für eine Obduktion wichtige Geruchssinn sind auch mit modernster Technik nicht zu kopieren. Und eine Ergänzung wird sie wohl auch erstmal bleiben, denn in der deutschen Strafprozessordnung ist von virtuellen Obduktionen mittels CT und Co. noch überhaupt keine Rede. Und dass, obwohl die Methoden bereits seit 20 Jahren genutzt werden. Das liegt vermutlich daran, dass bisher nur in den großen rechtsmedizinischen Instituten virtuelle Methoden zum Einsatz kommen und die Kosten dafür sehr hoch sind. Zudem sind digitale Befunde gerichtlich nur zulässig, wenn sie durch eine Obduktion abgesichert sind.
Darüber ob die „Virtopsy“ die klassische Obduktion auf lange Sicht ersetzen kann, wird öfter diskutiert. Jedes Verfahren hat seine Vor- und Nachteile und hängt immer vom Einzelfall und der Fragestellung ab. Generell werden bei beiden Verfahren verschiedene Methoden kombiniert, was die Aussagekraft letztendlich stärkt. Führt man nur eine reine Obduktion durch, können keine Aussagen über eine eventuelle Alkoholisierung oder andere Vergiftungen gemacht werden, da die toxikologische Untersuchung fehlt. Wird nur eine CT durchgeführt, weiß man das ebenfalls nicht. Kombinationen der „neuen“ und „alten“ Methoden sind für den jeweiligen Fall, wenn denn überhaupt möglich und Geräte vorhanden sind, immer abzuwägen.
Mehr als nur Obduktion
Dass Rechtsmediziner nicht nur Leichen obduzieren ist hoffentlich mittlerweile deutlich geworden. Tatsächlich nimmt das Obduzieren „nur“ ungefähr ein Viertel der Arbeit ein. Rechtsmediziner sind auch für die sogenannte zweite Leichenschau zuständig, die kurz vor einer Feuerbestattung durchgeführt werden muss. Sie findet in den jeweiligen Krematorien statt. Geprüft wird die auf der Todesbescheinigung festgestellte Todesursache durch eine zweite äußerliche Leichenschau. Dabei sucht der Rechtsmediziner nach möglichen Spuren und Zeichen von Gewalteinwirkungen, die auf einen unnatürlichen Tod hinweisen könnten. Erst nach seinem „ok“ ist der Leichnam zur Einäscherung freigegeben.
Die Arbeit an, für und mit lebenden Menschen spielt aber auch eine zentrale Rolle im Alltag eines Rechtsmediziners. Sie erstellen Gutachten zur Vaterschaft bzw. Verwandtschaft, sind als Sachverständige vor Gericht gefragt und mit Forschung, Lehre und Ausbildung von Studierenden und Ärzten beschäftigt. Das Lösen von Kriminalfällen gehört jedenfalls nicht zu ihren Aufgaben, sie liefern „lediglich“ wichtige Puzzlestücke, die maßgeblich bei der Aufklärung von Verbrechen helfen können.
Kurz und Knapp
- Ein Pathologe ist kein Rechtsmediziner und umgekehrt!
- Pathologe: Erkennung von Krankheiten, Untersuchung von Gewebeproben lebender Menschen; sezieren Leichen, wenn überhaupt mit natürlicher Todesursache in Krankenhäusern.
- Rechtsmediziner: untersuchen nicht-natürliche Todesfälle im Auftrag der Staatsanwaltschaft, aber auch lebende Menschen (klinische Rechtsmedizin); außerdem: zuständig für z. B. zweite Leichenschau und Forschung und Lehre.
- Es gibt verschiedene Obduktionsarten: Klinische Sektion, Verwaltungssektion, Anatomische Sektion und Gerichtliche Sektion.
- Die Obduktion gliedert sich in die äußere und innere Leichenschau.
- Bei der inneren Leichenschau ist die Öffnung von Kopf-, Brust- und Bauchhöhle bei gerichtlichen Sektionen Pflicht.
- Die klassische Obduktion wird durch bildgebende Verfahren wie Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) ergänzt.
- Die Virtopsy ist eine „virtuelle Autopsie“ und umfasst neben CT auch noch das 3D-Oberflächen-Scanning, die Angiographie und die Biopsie.
- Ob die Virtopsy jemals die klassische Obduktion ersetzen wird, ist fraglich und wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Zugelassen sind virtuelle Aufnahmen vor dem Gericht bisher nur, wenn sie durch eine klassische Obduktion ergänzt werden.
Einen Besuch in der Rechtsmedizin fände ich schon sehr spannend. Als noch lebender Mensch, versteht sich. Und du?
Bleib sicher und neugierig!
– Kathy
Titelbild: pixabay
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