Der Todesursache auf der Spur – die rechtsmedizinische Obduktion (Teil 1)

21. Dezember 2020 • Artikelserie Kriminaltechnik & Forensik

Gekachelte Wände, grelles Licht und in der Mitte der glänzende Edelstahltisch mit allerhand Obduktions­besteck. Ach ja, und die Leiche natürlich. Durch Krimiserien haben wir alle schon mal einen Obduktionsaal von innen gesehen. Wer dort wirklich ins Innere schaut, sind die Rechtsmediziner. Ungefähr zwei Prozent der über 900.000 jährlichen Todesfälle in Deutschland werden gerichtlich obduziert. Pro Jahr landen also 17-18.000 Leichen auf den rechtsmedizinischen Obduktionstischen. Welche Obduktionsarten es gibt, wie genau eine Obduktion abläuft, was Rechtsmediziner daneben noch so machen und warum man sie nicht mit Pathologen verwechseln sollte, erfährst du hier.

Die Rechtsmedizin, auch Forensische Medizin oder Gerichtsmedizin genannt ist ein Fachgebiet der Medizin und beantwortet grob gesagt Fragen für die Rechtspflege mithilfe medizinischer und naturwissenschaftlicher Methoden. Die Rechtsmedizin hat mehrere Aufgaben und Anwendungsbereiche: darunter z. B. die Thanatologie (Wissenschaft von den Ursachen und Umständen des Todes), die Toxikologie (Lehre von Giftstoffen und deren Wirkungen auf den Organismus), die forensische Molekularbiologie (DNA-Analysen) und die Verkehrsmedizin.

 

Rechtsmediziner ≠ Pathologe

Leiche gefunden, Ermittler alarmiert und dann später der Satz: „Die Leiche ist auf dem Weg in die Pathologie“ – Autsch! Durch Krimis und Co. hat sich in vielen Köpfen die Verbindung Pathologe = Leichenaufschneider etabliert. Das ist aber so nicht richtig. Da oft Verwechslungen stattfinden, eine kurze, aber wichtige Aufklärung:

Pathologen beschäftigen sich in erster Linie mit der Erkennung von Krankheiten und ihren Verläufen. Und zwar von lebenden Personen. Sie untersuchen Gewebeproben, die beispielsweise bei Operationen oder Biopsien genommen wurden. Steht ein Krebsverdacht im Raum, untersuchen sie Gewebe und finden heraus, ob die Zellveränderungen gut- oder bösartig sind. Pathologen trifft man also eher vor dem Mikroskop statt im Obduktionsaal. Sie können auch während einer Operation gefragt sein, wenn entnommenes Gewebe schnell untersucht werden muss, um dem operierenden Arzt Hinweise zum weiteren Vorgehen zu geben. Leichen sezieren dürfen Pathologen nur, wenn eine natürliche Todesursache vorliegt und Angehörige zu einer Obduktion zugestimmt haben (mehr dazu s. Klinische Sektion).

Rechtsmediziner hingegen untersuchen nicht-natürliche Todesfälle im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Der Leichnam ist beschlagnahmt und die Obduktion bedarf keiner Zustimmung durch Angehörige. Die Bezeichnung „nicht-natürlich“ umfasst den Tod in Folge von Gewalteinwirkung aber auch tödliche Unfälle sowie Suizide. Rechtsmediziner finden die Todesursache heraus und führen im Gegensatz zu Pathologen auch toxikologische Untersuchungen und DNA-Analysen durch. Bei unklaren Tötungsdelikten werden sie manchmal auch zum Fundort der Leiche gerufen.

Im Rahmen der klinischen Rechtsmedizin untersuchen Rechtsmediziner aber auch lebende Personen im Dienste der Rechtspflege. Gewaltopfer von körperlichen Misshandlungen jeglicher Art, Opfer von Sexualdelikten sowie Verkehrsunfallbeteiligte werden beispielsweise von Rechtsmedizinern untersucht.

 

Die Obduktion

Die Obduktion wird auch Sektion, Autopsie oder innere Leichenschau genannt und wird zur Feststellung der Todesursache und zur Rekonstruktion des Sterbevorgangs durchgeführt. Es gibt verschiedene Obduktionsarten und Anlässe für eine Obduktion.

  • Klinische Sektion

Klinische Sektionen führen Pathologen meist in Kliniken und Krankenhäusern durch. Sie gelten als die letzte ärztliche Handlung im Rahmen der medizinischen Behandlung eines Patienten. Meistens werden im Krankenhaus Verstorbene dann obduziert, wenn diagnostische oder therapeutische Unklarheit besteht. Durch eine Obduktion soll dann die eigentliche Grunderkrankung, die Todesursache oder ein Therapieerfolg-/ver-sagen aufgeklärt werden. Klinische Sektionen dienen dahingehend auch der Qualitätssicherung und der Überprüfung ärztlichen Handelns. Sie sind teilweise nur zulässig, wenn der Verstorbene entweder vor seinem Tod zugestimmt hat oder seine nächsten Angehörigen einer Obduktion zustimmen und diese nicht dem Willen des Verstorbenen widersprochen hätte. Veranlassen kann eine klinische Sektion der behandelnde Arzt aber auch Angehörige, falls diese Behandlungsfehler vermuten. Des Weiteren kann eine klinische Sektion für die Angehörigen entlastend sein, sollten sie Selbstvorwürfe bezüglich eines früheren Bemerkens von Symptomen entwickeln. Hin und wieder kann eine Obduktion auch Hinweise auf familiäre Krebskrankheiten oder Erbkrankheiten geben.

  • Verwaltungssektion

Unter Verwaltungssektionen sind all diejenigen Todesfälle zu verstehen, bei denen ein natürlicher Tod vorliegt, die Todesursache jedoch nicht geklärt werden kann. Dabei handelt es sich um Todesfälle, die sich plötzlich und unerwartet außerhalb von Kliniken und Krankenhäusern ereignet haben. Unter dem Begriff „Verwaltungs-sektion“ wird auch die Klärung der Todesursache auf Antrag einer Behörde wie z. B. der Berufsgenossenschaft oder dem Gesundheitsamt gezählt. Die Verwaltungssektion in diesem Sinne gibt es derzeit aber nur in Bremen und Hamburg.

  • Anatomische Sektion

Anatomische Sektionen dienen der Ausbildung von Medizinern und Studenten. Dabei haben die Verstorbenen ihren Leichnam freiwillig zu Lehr- und Forschungszwecken zur Verfügung gestellt.

  • Gerichtliche Sektion

Eine gerichtliche Sektion dient zur Klärung der Frage, ob jemand eines nicht-natürlichen Todes gestorben ist und ob ein Verdacht auf Fremdverschulden (Tötungsdelikt) besteht. Sie werden von behördlichen Institutionen wie der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht beauftragt. In der Strafprozessordnung ist geregelt, dass gerichtliche Sektionen immer von zwei Ärzten (Vier-Augen-Prinzip) durchzuführen sind, wovon einer Facharzt für Rechtsmedizin sein muss.

Und über die gerichtliche Sektion wird es nun, wer hätte es gedacht, hauptsächlich gehen!

 

Ablauf einer Obduktion

Ist eine Leiche in der Rechtsmedizin angekommen, wird nicht sofort drauflos geschnitten. Die Obduktion gliedert sich in zwei Teile: die äußere und innere Leichenschau.

  • Äußere Leichenschau

Jede Obduktion beginnt zunächst mit einer genauen äußeren Besichtigung der Leiche. Zuerst in der Form, wie der Leichnam gefunden wurde. Je nach Art des Verbrechens kann das variieren zwischen vollständig bekleidet, halb bekleidet oder nackt. Bei bekleideten Leichen wird der Zustand der Kleidung genaustens betrachtet. Dokumentiert werden etwaige Beschädigungen, der Inhalt vorhandener Taschen, der Verschmutzungsgrad und der Geruch. Anschließend wird die Leiche vorsichtig entkleidet und Gewicht, Größe, Hautkolorit (Färbung der Haut, die u. a. von der Pigmentierung, Durchblutung und Sauerstoffversorgung abhängt) und der Ernährungszustand werden vermerkt. Auch der Zahnstatus ist wichtig. Betrachtet werden Veränderungen der Haut wie Pigmentflecken, Narben, Tätowierungen und insbesondere eventuelle Verletzungen wie Stich- und Schusswunden oder Würgemale. Zudem werden die sicheren Todeszeichen beschrieben. Dazu zählen die Ausprägung der Totenstarre, die Farbe, Lage und Stärke der Totenflecke und der Grad der Fäulnis.

  • Innere Leichenschau

Vor der Leichenöffnung soll die Identität des Leichnams, falls noch nicht bekannt, festgestellt werden (§ 88 StPO). Die Identifizierung kann entweder durch Inaugenscheinnahme durch Angehörige oder durch andere Personen, die den Toten gekannt haben, erfolgen. Ist dies nicht möglich oder der Leichnam zu sehr verwest oder anderweitig unkenntlich, kommen erkennungsdienstliche Maßnahmen (z. B. Fingerabdrücke) oder molekulargenetische Untersuchungen (z. B. DNA-Analysen) zum Einsatz.

 

Die innere Leichenschau beginnt mit der Öffnung der drei Körperhöhlen Kopf-, Brust- und Bauchhöhle. Nach § 89 StPO ist die Öffnung der drei Körperhöhlen bei einer gerichtlichen Sektion Pflicht.

 

Die Kopföffnung beginnt mit einem Schnitt quer über den Scheitel von Ohr zu Ohr. Danach wird die Kopfschwarte nach vorne über das Gesicht geklappt und der Schädel mit einer Säge geöffnet. Das Gehirn wird meist durch mehrere Schnitte zerlegt, herausgenommen und auf Verletzungen und Tumore untersucht. Die Schädelknochen untersuchen die Rechtsmediziner auf Brüche.

 

Darstellung von Y- und T-Schnitt bei der Brust-und Bauchhöhlenöffnung. Bild: Katharina Rieger

Brust- und Bauchhöhle werden mit einem sogenannten Y- oder T-Schnitt geöffnet. Der Y-Schnitt verläuft von beiden Schlüsselbeinen schräg zum Brustbein und dann senkrecht weiter Richtung Schambein. Der T-Schnitt wird leicht bogenförmig von Schulter zu Schulter durchgeführt und anschließend ebenfalls senkrecht hinunter zum Schambein.

 

Nach Entfernung des Brustbeins und der Rippen ist der Weg für den Rechtsmediziner frei. Nach Untersuchungen der verschiedenen Fett- und Muskelschichten auf Verletzungen geht’s an die Organe. Um die Organzusammenhänge zu erhalten, werden diese meist als „Paket“ herausgenommen, saubergemacht und auf Veränderungen überprüft. Zunächst das Herz, dann die Lunge, dann die Bauchorgane, Magen, Darm und die Nieren mit der Harnblase. Zu diesem Zeitpunkt werden auch Organproben z. B. von Gehirn, Herz, Lunge und Leber für mikroskopische Untersuchungen sowie für toxikologische Untersuchungen Blut, Urin, Magen- und Darminhalt entnommen und asserviert. Auch Haarproben können in Bündeln genommen, asserviert und auf Gifte untersucht werden.

 

Nach der Obduktion werden die Organe wieder in den Körper zurückgelegt, sofern diese oder Teile von ihnen nicht für weitere Untersuchungen asserviert werden müssen. Anschließend werden die Schnitte sauber zugenäht und der Leichnam gewaschen, sodass eine Aufbahrung im offenen Sarg möglich wäre. Bestattet werden darf der Leichnam jedoch erst nach gerichtlicher Freigabe.

 

Das Obduktionsprotokoll

Nach der Obduktion hat der Rechtsmediziner die Aufgabe ein ausführliches Obduktionsprotokoll über alle Befunde der äußeren und inneren Leichenschau zu erstellen. Ebenso gibt er ein vorläufiges Gutachten ab, in dem er die Befunde im Gesamtkontext interpretiert und mit den bisherigen Ermittlungsdaten in Verbindung bringt. Todesursache und Todesart ergeben sich aus der Befundinterpretation und sollen präzise als Diagnose formuliert werden. Sollte die Todesursache nicht oder nicht eindeutig feststellbar sein, muss das auch klar ausgedrückt werden. Der Rechtsmediziner hat dann Vorschläge über weitere Untersuchungsmöglichkeiten zur Klärung der Todesursache zu geben. Zum Schluss muss das Protokoll von beiden Obduzenten auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft und unterschrieben werden.

 

Titelbild: Ralf Roletschek, GFDL 1.2, via Wikimedia Commons

 

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